Welter, Oliver by Kalt geht der Wind

Autor:Kalt geht der Wind
Die sprache: deu
Format: mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00

Als Inka vor ihrem Wohnhaus aus dem Dienstwagen stieg, hatte sie keine Autopilot-Phase hinter sich. Wenn sie selber fuhr, ließ ein Teil ihres Gehirns immer noch so viel Speicherkapazität in Reserve, dass einer sicheren Fahrt nichts im Wege stand. Wofür Inka besonders dankbar war, seit sie nach Brilon gezogen war. Es war eine Sache, knapp 1,5 Tonnen Auto mit 180 PS durch eine Stadt zu bewegen. Es war eine völlig andere, dasselbe in einer Kleinstadt wie Brilon zu tun. Zwar gab es hier dieselben Verkehrsregeln wie überall sonst, aber auch eine Besonderheit, die Autofahren hier zu einer Herausforderung machte. Die Kollegen von der Schutzpolizei nannten das Phänomen ganz technokratisch »die vergleichsweise hohe Zahl an landwirtschaftlichen Verkehrsteilnehmern«. Inka nannte es »Bekloppte auf Treckern«. Sie konnte sich noch erinnern, dass es irgendwann in ihrer Kindheit mal kleine Traktoren mit freundlichen Landwirten gab, die ein bis zwei Anhänger wie in Zeitlupe hinter sich herzogen und die man bequem mit dem Fahrrad überholen konnte. Heute saßen zum Teil dieselben Landwirte, inzwischen längst im rentenfähigen Alter, mit todesverachtendem Blick auf Monstermaschinen, deren Hinterreifen größer waren als Inka selbst und deren PS-Zahl im vierstelligen Bereich lag. Wie man mit so einem Ding mit 60 Sachen durch eine schmale Dorfstraße brettern konnte, war Inka schleierhaft. Noch schleierhafter war ihr, wie man so ein Ding im Notfall zum Stehen bringen wollte. Andererseits war vielleicht genau das der Punkt. Man brauchte es gar nicht zum Stehen zu bringen. Denn von einer lächerlichen Kleinigkeit wie einem Unfall würde man am Steuer eines solchen Ungetüms wahrscheinlich erst erfahren, wenn man es abends in die Scheune stellte und sich über die Schneise der Verwüstung wunderte, die irgendein Vollidiot in die Stadt geschlagen hatte.

Trotz der allgegenwärtigen, meist grüngelben Gefahr hatte Inka noch genug Zeit gehabt, sich während der Heimfahrt ihre Strategie für die kommende Woche zu überlegen. Die Erfolgsaussichten von Pfeils Befragung der Autoverleiher konnte sie schwer einschätzen. Aber sie würde auf jeden Fall Röggen mit den Fotos und der Zeichnung des Rings zu diversen Juwelieren schicken und sich selbst, vielleicht mit Kemperdick, daran machen, das Schützenfest vor drei Jahren zu rekonstruieren. Mit etwas Glück würden sie jemanden finden, der sich an die große Unbekannte erinnerte. Was auch immer sie ab morgen unternahmen, eines war klar: Es mussten Erfolge her. Und zwar schnell. Nicht nur die Bevölkerung wurde, völlig zu Recht, langsam ungeduldig. Auch die Presse hatte ziemlich verärgert auf Halverscheids etwas eigenwillige PR-Taktik reagiert.

Als Inka im Präsidium noch die ziemlich dürftigen Fahndungsdaten in den Computer eingegeben hatte, war Halverscheid noch bei ihr vorbeigekommen und hatte ihr stolz berichtet, dass er den Pressevertretern als Gegenleistung für das »etwas missglückte« Pressegespräch eine offizielle Konferenz für den Montagabend angekündigt habe, auf der alle Fragen geklärt werden sollten. Inka hatte nur durchgeatmet. Sie war zu müde für eine erneute Konfrontation. Tatsächlich hatte Halverscheid mit dem Anberaumen seiner Konferenz den Druck auf seine neue Ermittlungsleiterin erhöht, statt sich, wie es sein sollte, schützend vor sie zu stellen und ihr die Zeit und den Raum für ihre Arbeit zu ermöglichen.

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